Das Eerste Buch Lydia, Verse 143-220.
© MMX A.N.E.
Vierzehntes Kapitel

[143] Zunächst erschien es Adam, als habe Gott ihn für immer verlassen. So erstaunlich ruhig war es um ihn herum, als er wieder zu klaren Gedanken fähig war.
Mit einem Seufzer beschloss er spazieren zu gehen, sich nicht länger vom scheußlichen Anblick des verdrehten Lilith den Tag versauen zu lassen. Während er so heulend oben an der Schlucht gesessen hatte war ihm mehr und mehr bewusst geworden, dass er an dieser Situation ohnehin nichts mehr ändern konnte. Lilith würde niemals wieder vor ihm stehen, sich niemals wieder von ihm für ihn über Steine legen lassen. Aber war es sinnvoll, wegen einer im Grunde völligen Nichtigkeit, stundenlang weinend herumzugammeln? Nein, dies war nicht Adams Art.
[144] Klar, die ersten Pfützen und Teiche in denen er sein Spiegelbild sah, waren für Adam anfangs sicherlich noch schmerzhaft, sah er doch weniger sich selbst, als vielmehr den toten Lilith sich von der Oberfläche reflektieren. Doch mit immer größerer Verzückung wurde er gewahr, dass Gotthold sich offenbar tatsächlich verzogen haben musste.
[145] Zwar hatte er seither auch gar nicht erst nach ihm gerufen, er hielt as aber auch in jedem Fall für am Besten, schlafende Hunde nicht zu wecken.
Im Grunde war ja sowieso Gotthold an allem schuld, dachte sich Adam, während er durch eine weitläufige Aue schlenderte und mit einem langen Stock ins Grass schlug. Gott war doch immer derjenige gewesen, welcher immer betont hatte er wisse genauestens, was, wo, wie und weshalb immer alles so komme, wie es kommen musste. Ihm wurde Schritt für Schritt und Hieb für Hieb klar, dass Gotthold das Geschehene zumindest billigend in Kauf genommen haben musste. Oder war Gott eigentlich doch nur ein wortgewandter Dummschwätzer? War ihm vielleicht wirklich gar nicht klar, was er da tat? War es nicht in Wirklichkeit so, dass Adam stets die Verantwortung für Gotthold übernehmen musste? War es nicht so, dass Gotthold nichts anderes im Sinn hatte als den Ausgang seiner Experimente — und dass es ihm völlig egal war, wie es Adam dabei ging? Stets war es doch Adam gewesen, der es hatte ausbaden müssen. Jedes Mal, wenn irgend etwas nicht so funktionierte, wie Gotthold sich das vorgestellt hatte, zog er einfach beleidigt ab!
Groll verspürte Adam bei diesem Gedanken. Groll — aber auch Erleichterung.
[146] Adam hatte begonnen ein ganz anderes, neues Leben zu führen, seit Gotthold sich verkrümelt hatte. Ein Jahr war seit Liliths unglücklichem Tod vergangen.
Am Anfang gestaltete dieses sich für Adam durchaus schwierig, denn viel zu stolz war er, nach Gotthold zu rufen. Dadurch entstanden aber etliche Probleme, die es mit einem Schlag selbst zu lösen galt. Denn alle Versuche es Gott nachzutun scheiterten erst einmal an seiner schieren Ohnmacht.
[147] Doch mit immer größer werdender Zuversicht leuchtete es ihm, dass er eigentlich alles hatte, hier im Paradies, was er benötigte. Er entdeckte, dass er die vielen verschiedenen Aufgaben auch untereinander verknüpfen konnte, Obsidian vermochte nicht nur Fleisch zu schneiden, nein auch Holz schnitt es! Holz konnte man mit Holz dazu bringen, dass es, wie Gotthold es vermochte, urplötzlich lichterloh brannte!
[148] er hatte sich innerhalb dieses einen Jahres,— und ganz allein, ein gemütliches kleines Häuschen gebaut – an einem wunderschönen See – türkis leuchtete dieser im Sonnenlicht und es war sogar von der tiefsten Stelle aus, klar der Grund zu sehen.
Dahinter stand imposant ein großes Gebirge, dessen höchste Stellen, wenn sie denn mal zu sehen waren, selbst im Sommer Schnee trugen.
Um sein Haus und eine große Fläche, hatte er aus aufgetürmten Holzresten und Gestein eine abschreckende Mauer aufgebaut, von der er sich sicher war, sie würde sogar Gotthold aufhalten — sollte er es jemals wieder wagen zurück zu kommen. Im Hof hielt er sich allerhand Getier zu den unterschiedlichsten Zwecken, ob zum stillen des Hungers, des Durstes oder der Fleischeslust — er hat alles was er brauchte. Und wenn er abends am Kamin, erschöpft vom Tagwerk, glücklich jedoch, über sich nachdachte, fand er dass er niemals zufrieden und gewesen war.
Fünfzehntes Kapitel

[149] So zogen viele Jahre ins Land. Adam häufte immer mehr Wohlstand an, fand immer neue Aufgaben, die es zu bewältigen gab — ja sein Wissen und seine Macht schienen keiner Begrenzbarkeit zu unterliegen.
Er hatte sich ein stattlichen Bart wachsen lassen, die Haare streichelten, zu einem großen Zopf gebunden, seinen Rücken. Sein Körper war von der vielen Arbeit noch muskulöser geworden, die einstigen Anzeichen des Adels, seine reine, blasse und makellose Haut waren jedoch schon lange verschwunden. Stellenweise mit Hornhaut überzogen, hier vernarbt, dort verbrannt und sonnengebräunt, stand er stolz vor seinem Haus und blickte auf sein Hab und Gut.
[150] Doch nirgends und zu keinem Zeitpunkt jemals, ist einem lebenden Geschöpf dauerhaft seliger Friede und andächtige Ruhe vergönnt. Und schon gar nicht im Paradiese.
[151] Auch dies musste Adam schmerzlich lernen, als es eines Nachts nachdrücklich an der massiven Eichentür seines Hauses klopfte.
Als Adam erwachte, wusste er sofort was Sache ist. Er überlegte noch kurz, ob nicht vielleicht doch eine seiner Kühe das Klopfen für sich entdeckt haben könnte, kam jedoch schneller als ihm selbst lieb war, von diesem Gedanken wieder ab.
An der Tür angekommen zögerte Adam kurz, doch bevor er einen neuen Gedanken fassen konnte, klopfte es erneut, diesmal um ein vielfaches bedrohlicher und er hörte draußen Gotthold rufen: „Adam!!, Adam ich bin’s Gotthold! Komm mach‘ die Tür auf, lass mich rein — ich weiß, dass Du da bist! Adam!!“
[152] Adam verdrehte die Augen und stöhnte leise — er fasste sich und öffnete die Tür. Draußen stand Gotthold, völlig durchnässt vom Regen, was ihn aber wahrscheinlich kalt ließ, denn er war total aufgedreht und aus dem Häuschen.
„Komm schon rein!“, sagte Adam genervt, „Du wirst es ja ohnehin tun…“
[153] Ohne weitere Worte hastete Gotthold an Adam vorbei in die Stube. Adam blickte noch einen Moment in die offene Tür, als ob er sich ausmale abzuhauen, alles zurückzulassen was er sich hier aufgebaut hatte, um irgendwo in einem tiefen Loch unter der Erde, gut vor Gott versteckt, neu anzufangen. Er wusste um die Hoffnungslosigkeit dieses Gedankenspiels.
[154] Als er die Tür hinter sich schloss und Gotthold imd Wohnzimmer folgte, saß dieser schon im Schneidersitz — was bei Gottes Format jedoch mehr wie der Gordische Knoten aussah, dann wieder mutete es Siddhartas Würden an — vor dem erlöschenden Feuer im Kamin. Sein nasses, ohnehin schon wie ein Kriegsgebiet auf einem jahrhundertealten Friedhof anmutende Gesicht, sah in der flackernden Lohe der Feuersglut aus wie von Blut durchtränkt.
[155] „Adam, setz‘ Dich auf meinen Schoß — wie früher, ja?“, sprach Gotthold in freudiger Erwartung des kommenden Gesprächs.
Zögerlich flüsterte Adam er habe absolut kein Bedürfnis danach.
Etwas frustriert, aber in seiner guten Laune keineswegs beeinträchtigt, fuhr Gotthold fort:
[156] „Also hör‘ zu: nein, warte — erst etwas anderes!“, dabei stand er behände auf und blickte Adam, welcher beide Arme vor der Brust verschlungen hatte, gleichwohl als sei ihm eiseskalt — oder als wolle er sich vor etwas Bösem schützen, mit allen seinen Augen fragend an.
„Das eine hatte ich mich nämlich vorhin schon gefragt: was bitte ist das alles hier?“, fragte Gott, die Stirn gerunzelt und einem neidischen Lächeln auf den Lippen. „Ich meine, das ist das Lächerlichste und Dämlichste, was ich je zuvor gesehen habe? Du willst mir doch jetzt nicht etwa erzählen, dass Du jetzt so“, wobei er mit einer Flosse eine ausladende Bewegung machte und sich wie eine schwule Elfe einmal um die eigene Achse drehte, „dahinvegetierst?!“
Mit großen fragenden Glubschaugen blickte er Adam, der auf ihm einen seltsam ungehaltenen Eindruck machte, an.
[157] Es war wieder wie eh und je, Adam und Gotthold waren wieder vereint wie schon lange nicht mehr. Adam schrie ihm wutentbrannt ins Gefress:
[158] „Was glaubst Du? Natürlich lebe ich hier! Und ich habe es alles ganz allein gemacht, ohne Dich!
Und langsam sich beruhigend, mit einem gequälten Lachen fuhr er fort: „Es gefällt mir. Ich habe es sogar alles so gemacht, dass es nicht anders kann als mir zu gefallen. Ich brauche dich nicht mehr. Ich habe gelernt für mich selbst sorgen!“
Ein triumphaler Gesichtsausdruck, wie der einer Statue, eines großen Kriegsherrn, war es was Gottheit zu erblicken bekam. Als Adam sah, wie weh er Gotthold mit seinen Aussagen tat, fuhr ungehindert fort:
„Ernsthaft! Mir ist es völlig gleich, was du hier willst, solange du auch wieder verschwindest! Es gibt nichts, was ich von dir bräuchte, ich bin noch nicht bereit dir jemals wieder bei einem deiner beschränkten oder beknackten Experimente zu helfen. Die waren doch ohnehin für den Arsch. Zum Scheitern vorverurteilt, und wer frage ich dich, wer war jedes Mal der Dumme? Wer war immer an allem Schuld? Ich!“
[159] „Und die absolute Krönung: du weckst mich mitten in der Nacht auf, du rauschst hier ohne ein Wort, ohne einen Blick der Entschuldigung herein! Was glaubst du eigentlich wer du bist, für wen hältst du dich eigentlich?“
[160] Adam beruhigte sich etwas und fuhr mit belegter Stimme fort: „Sie mal, es gibt doch keinen Grund für dich jetzt beleidigt zu sein. Sie es doch so: zum ersten Mal hat eines deiner Experimente tatsächlich geklappt! Ich stehe jetzt auf eigenen Füßen. Das Projekt ist vollkommen. Es gibt absolut nichts mehr, das es zu ändern gäbe! Ich bin zufrieden, Gotthold. Glücklich. Ich hin die zwar für nichts dankbar, dafür hast du mir zu viel angetan. Doch ich werde dir verzeihen, wenn du versprichst mich in Ruhe zu lassen. Du weißt, ja du spürst es doch auch! Wir passen einfach nicht zusammen, Gott. Du willst und willst und willst und willst, statt dich einmal mit dem zufrieden zu geben, was du hast. Wir sind grundverschieden.
[161] In diesem Moment sah es so aus, als sei es nicht Adam, der aufgrund der Ähnlichkeit zu ihm zur Krone der Schöpfung auserkoren gehören müsste, sondern vielmehr ein begossener Pudel.
„Adam, Du kannst mir unmöglich weis machen, Du bräuchtest mich nicht! Kann Dir dieses Haus geben, was ich Dir geben kann? Kann Dir dieses Bett geben, was ich Dir geben kann?
[162] „Oh, Gott! Himmel, Arsch und Zwirn!“, rief Adam wütend aus,“Du hat noch immer nichts begriffen! Als ob es darum ginge! Du kannst mir doch selbst nicht alles geben, wonach es mir verlangt!“
[163] „Dieses Haus ist wie du: Es gibt mir Schutz, doch ich kann es nicht essen.“
[164] „Dieses Bett ist wie du: Es hält mich warm in finstrer Nacht, doch es liebt mich nicht.“
[165] „Dies Zicklein ist wie du: Ich kann es vögeln, essen, aber ich kann damit keine Tür aufschließen.“
[166] „Dieser Stein ist wie du: Ich kann damit Tiere erschlagen, doch er redet nicht mit mir.“
[167] „Und du? Du kannst mir genauso wenig alles geben. Es geht doch nicht im er nur um die absolute, niemals zu erreichende Vollkommenheit, Gotthold. Wie langweilig wäre das denn? Eins. Wozu eine zwei, die brauchen wir nicht. Die eins kann alles! Wie langweilig, alles heißt A. Oder besser eins, denn die eins ist auch Alphabet! Nein, Gotthold, du musst damit aufhören sonst wirst du niemals glücklich!“
[168] Gotthold rang nach Fassung. Seine Augen hatten sich in Schlitze verwandelt, und er war ungeheuer gekränkt. Dann, mit einem Mal, glaubte Adam etwas anderes in Gottes Gesicht zu sehen, er konnte es aber nicht in Worte fassen.
[169] „Bei allem, Adam, vergisst du eines!“, sagte Gotthold langsam und mit eisiger Stimme. Du bist mir etwas schuldig:“
[170] „Glücklich willst Du sein? Dann frag‘ ich mich — wem verdankst Du das Glück?“
[171] „Selbständig willst Du sein? Dann frag‘ ich mich — wer hat Dich die Selbständigkeit gelehrt.“
[172] „Vollkommen willst Du sein? Dann frag‘ ich mich — wer gab Dir wahre Vollkommenheit zum Vorbilde?“
[173] Gotthold machte eine obszöne Geste.
[174] „Du verleugnest alle meine Geschenke an Dich? Ich muss Dir wohl auch die Undankbarkeit gelehrt haben!“
[175] Wutentbrannt und mit schauriger, krächzender Stimme fuhr Gotthold fort:
[176] „Und Das eine wisse, Adam. Bist Du nicht willig, so brauche ich Gewalt: Du bist mein! Ich kann tun und lassen, was ich will! Dir wird absolut nichts und niemand zu Hilfe kommen. Ich kann Dich bis in alle Ewigkeit foltern. Oh, ich schicke Dich zu den Lavaseen, hoch oben im Himmel, auf dem höchsten Berg – die Luft dort ist dünn. Sehr dünn, Adam. Sie wird Dich noch lange am Leben halten, doch Du wirst immer denken, Du erstickst jeden Moment. Ich werde Dämonen mit riesigen Forken dazu abrichten Dich den ganzen Tag zu ärgern – mit sinnlosen Belanglosigkeiten, Smalltalk, Kennenlernspielchen, Schwiegerelternbesuchen und anderen, noch viel schlimmeren Dingen, die nicht einmal ich wage auszusprechen, Dich in den Wahnsinn treiben bis Du Dir letztendlich wieder und wieder und immer wieder wünschen wirst Du wärst endlich tot — aber ich lasse Dich nicht sterben. Nein. Nein, Adam. Ich werde es genießen, Adam. Ich werde den Rest der Ewigkeit bei Bier und Chips Dir dabei zusehen, wie du leidest! Wie Du mich anbetteln wirst, Adam. Wie Du Rotz und Wasser heulen wirst. Und ich werde lachen, Adam. Ich werde mich köstlich amüsieren, während…“
[177] „Adam??…“
[178] Adam war ohnmächtig geworden.
[179] „Hmmm…, so fängt es ja gut an — und ich war noch nicht ansatzweise fertig.“, dachte Gotthold schmunzelnd bei sich.
Sechzehntes Kapitel

[180] Also kam es zu einem weiteren, grausamen Experiment unter der Leitung des Prof. Dr. Gotthold v. Kolob.
[181] Adam war bis ins Mark erschüttert, als er von Gott erfuhr, was der eigentliche Grund seines Besuches am Tage zuvor gewesen war. Offensichtlich hatte dieser Grenzdebile nach wie vor nicht den Tod von Lilith verarbeitet. Er war wohl der Meinung, es sei alles sein Fehler gewesen, beim Durchblättern seiner Aufzeichnungen habe er gemerkt, da müsse etwas fehl kalkuliert worden sein. Er! Fehl kalkuliert! Aber er wisse jetzt wo das Problem gelegen habe und müsste das Experiment unbedingt wiederholen. Er habe irgendwo noch das Back-up einer völlig nutzlosen Affenart rumliegen, deren bloße Gegenwart jeden Mann in den Wahnsinn treibe. Dieses Experiment habe damals dann aber plötzlich damit sein Ende gefunden, dass die Affenart unerwartet ausgestorben sei, aber er sei guter Dinge, dass dies für sein Vorhaben aufs Vortrefflichste geeignet sei. Gotthold faselte etwas von ‚genome‘ oder so etwas ähnlichem, dem verblüffend hohen Faktor der Übereinstimmung und der Kreuzung dessen mit Material aus ihm — so ganz schlau wurde er daraus nicht, es würde wohl aber wieder mit der Entnahme eine Rippe zu tun haben.
[182] Einige Stunden darauf, nachdem Gotthold seine Krallen sterilisiert und sich in sein OP-Gewand gehüllt hatte, Schnitt er Adam den Brustkorb auf, wie ein grandioser Dirigent den Taktstab führt, so schnitten Gottes Hände durchs Fleisch. Es war wie immer eine blutige Angelegenheit, an die sich der zart besaitete Gotthold wohl nie gewöhnen würde, es ward wahllos eine Rippe entrissen und der ganze Schmodder am Schluss provisorisch zusammen getackert.
[183] Als Adam erwachte, fühlte er sich genauso fertig wie einige Jahre zuvor, damals bei der Geburt von Lilith. „Kann ich sie sehen?“, fragte er.
[184] „Woher weißt Du, dass es eine ‚Sie‘ ist?“, fragte Gotthold erstaunt.
[185] „Mütter haben so etwas im Gefühl, Gott.“, antwortete Adam noch etwas geschwächt von der Geburt. „Damals bei Lilith wusste ich auch, dass es ein Junge werden würde. Das verstehst du nicht, Gott.“
[186] Gotthold lachte vergnügt: „Ach weißt Du — im Grunde hat das alles nur mit Wahrscheinlichkeit und Zufall zu tun, Adam. Man kann das nicht vorher wissen.
Es ist ein Wunder, weißt Du? Dafür habe ich damals an der Uni einen Preis gewonnen. Es führte jetzt aber zu weit, Dir im Einzelnen zu erklären, wie das genau funktioniert.
Ach so und Deine Frau – sie steht da drüben! Sie ist stattliche 1,70 m groß, wiegt stolze 50 Kilo, und, und, und… Mein lieber Scholli, da hast Du aber ein ganz schönern Brocken auf die Welt gebracht! Gratuliere Dir Sohnemann!
Ach und bevor Du fragst – ich habe sie Eva genannt.“
Siebzehntes Kapitel

[187] Als Adam Eva zum ersten Mal sah, war er verunsichert. Etwas schien mit ihr nicht zu stimmen. Sie war ihm so überhaupt nicht ähnlich. Auch ihre Haut glänzte im Scheine des Lichts, doch war sie nicht Elfenbeinfarben wie seine, sie war vielmehr von einer dunklen, schokoladenartigen Haut überzogen die ihr unheimlich gut stand!
[188] Wo sich bei ihm der Penis befand, waren bei ihr zwei wulstige Hautlappen, die vergeblich versuchten, das sauber gefaltete rosafarbene Vlies aus feinsten Häutchen vor dem Blicke anderer Lebewesen zu verstecken.
[189] Auch ihre Brust schien durchtrainierter als seine zu sein, aber es stand ihr vortrefflich, vor allem wie ihm die dunklen Brustwarzen wie met-gefüllte Amphoren entgegen sprangen.
[190] In ihrem Gesicht konnte er noch die von Gotthold erwähnten Reste des äffischen Beimaterials erkennen, doch es schmeichelte ihrer gesamten Erscheinung, wie Morgentau das Gras liebkost.
[191] Und name war also Eva. Ungleich Lilith sah dieses Geschöpf aus, als müsse man es vor irgendetwas beschützen. Es wäre sogar undenkbar, damit auch nur annähernd so umzugehen, wie er mit Lilith umgegangen war. Es sah so zierlich und unbeholfen aus. Wie ein Rehkitz, das zum ersten Mal steht und selten dämlich aus der Wäsche guckt.
[192] Ihre langen, dunklen Haare wehten ein bisschen Morgenwind, was für Adam ein hypnotisierender Anblick war. Das letzte Mal, dass er sich selbst so sprachlos gesehen hatte, war viele Jahre her gewesen.
[193] Er war wie verhext. Er glaubte das größte Kleinod aller Zeiten vor sich stehen zu sehen. Er glaubte fortan nicht mehr daran, irgendwann unter irgendwelchen Umständen jemals, nochmals ohne Eva überleben zu können. Wie ein Junkie am Bahnhof, völlig von der Heroine bezaubert, lag Adam am Boden und starte Eva an.
[194] Selbstzufrieden stand Gotthold neben diesem imposanten Gemälde vom göttlicher Meisterhand.
„Nun, Adam? Die Bedingungen sind allesamt die selben wie letztes Mal. Du wirst sie aber nicht gleich töten, wie zuletzt!“
[195] Gebannten Auges auf Eva stammelte Adam: „Wie um alles in der Welt wäre es mir möglich, so etwas wunderschönes…“
[196] „Prima!“, sprach Gotthold kichernd, „dann ist ja alles besprochen: Du wirst es eine Zeit lang mit ihr aushalten müssen — und wenn mein Experiment zufriedenstellende Ergebnisse geliefert hat, schenke ich Euch beiden den Kuss des Todes.
[197] Mit diesen letzten Worten drehte er sich um, lief aus dem Wohnzimmer, blieb noch einmal wehmütig im Hauseingang stehen, so als wolle er sich noch einmal umdrehen und zu Adam rennen, ihn um Vergebung bitten, ihm aufs Erneute seine grenzenlose Liebe gestehen, ihn geloben in Frieden zu lassen. Eine Träne der Wehmut lief ihm über sein hässliches Gesicht. Ja, er wäre sogar bereit gewesen ihn jetzt schon von seinem elenden Dasein zu befreien. Doch Gotthold war weder für seine Ehrenhaftigkeit bekannt noch besaß er, streng nach anatomischen Gesichtspunkten, so etwas wie ein Rückgrat. In Stille blickte er nochmals über die Schulter zurück, dann schlich er wie ein Schurke von dannen.
Achtzehntes Kapitel

[199] Adam und Eva waren allein zurückgeblieben. Adam war völlig entgangen, dass Gotthold mittlerweile nicht mehr zugegen war, so vertieft war er in den Anblick, der sich ihm darbot.
[200] Seine Gedankenwelt fühlte sich, soweit vorhanden, wie zähes Pech für ihn an, immer wenn er seinen Blick von Eva nehmen wollte, vergaß er sofort darauf, weshalb. Und es würde Stunden dauern, bis ihm der Gedanke erneut kommen würde. Wenn er über ihn überhaupt noch einmal käme.
[200] Wäre es nicht Eva gewesen, die den ersten Kontakt völlig souverän eingeleitet hätte – Adam wäre niemals so weit gekommen, die beiden hätten sich vermutlich nie kennen gelernt.
[201] Urin lief Eva das Bein herab und sie blickte ziemlich betroffen und erschüttert drein, als sich der Flokati-Teppich, einem Gesellenstück früh-adamesischer Knüpfkunst, mit ihrem goldenen Bache vollsog.
Adam lächelte sie vergnügt an: „Das ist nicht so schlimm, … Eva … E-V-A…“
[202] Er ließ ihren Namen mehrfach in den verschiedensten Tonlagen und Metren über seine Lippen gehen und fuhr fort:
[203] „Das erste Mal, als mir das passiert ist, war ich auch sehr irritiert und besorgt. Aber keine Angst — man kann es kultivieren!“
[204] Mit kindlichem Staunen in den Augen hing Eva an den Lippen Adams, wiederholte im Kopf jedes seiner Worte und versuchte den Klang seiner märchenhafte Stimme niemals mehr zu vergessen. Alles was er sagte, ergab perfekten Sinn, er schien über alles bescheid zu wissen, es erschien ihr alles was er sagte völlig logisch, zweifelsfrei und einwandlos, der unbefleckten Empfängnis der Maria Mutter Gottes gleich – wie es sich einige tausend Jahre später zutragen sollte. Was für ein wunderbares Geschöpf er war. Er war so anders als Sie! Nicht dunkelhäutig war er, nicht hatte er die schönsten braunen Augen, die Tränenflüssigkeit in der Lage wäre wiederzugeben, nicht schwarz war sein Haupthaar und Kraus. Nicht machte er einen auch nur annähernd so hilflosen Eindruck wie sie, sogar sein gestählter Körper schien dies besser als jedes Wort zu formulieren. Was für ein Geschöpf! Die Augen so himmelblau, so tief, das man drin ertrinken könnte – sofern man Nichtschwimmer ist – die langen, blonden Locken! Das stramme Glied zwischen seinen Beinen! Alles an ihm schien sowohl absolut berechtigtes Zutrauen zu erwecken, als auch Macht und Stärke, Weisheit und Eleganz — Schönheit und Grausamkeit zugleich — auszustrahlen.
Sie wusste ganz klar – und es erfüllte sie mit hemmungsloser Wollust, sie würde seine ewige Sklavin sein! Nicht aber, weil er sie zu irgendetwas zwingen müsste, nein, es wäre ihre Pflicht, ihre größte Ehrerbietung, ihr Lebensdaseinsgrund, ihm zu dienen. Sie würde alles tun, was er such von ihr abverlangen möge. Er würde die Luft sein, ja gleich ihrem eigenen Atem, die sie zum Überleben bräuchte. Sie würde ihn umsorgen, ihn vor allem Bösen bewahren, ihm helfen, wo immer er nur Hilfe bräuchte, tun was immer er ihr sage — und all dies tun zu dürfen wäre ihr größter Lohn zugleich.
Neunzehntes Kapitel

[205] Wie zwei vor Wollust räudige Straßenköter, die für den Fortpflanzungsakt sogar ihr eigenes Leben bereit wären zu geben bereit wären, wie ein einst geschiedenes Ehepaar, das sich nach Jahren wieder versöhnt hat und voll geiler Erwartung – ob der Sex immer noch so gut ist wie damals, vor Erregung bebt, wie zwei Walfische, die sich irgendwo, weit in der Tiefe des Ozeans einmal in dreißig Jahren treffen und beide genau darüber Bescheid wissen, was zu tun ist — blickten sich Adam und Eva tief in die Augen, so tief, dass jeder die Seele des anderen betrachten konnte.
[206] Sie verloren sich beide in den Augen des anderen, und einen Moment lang sah es so aus, als,ob in der Mitte des Wohnzimmers, zwischen Adam und Eva, sich deren beider Seelen in einem gleißenden Lichtschein verschmolzen.
[207] Der Kitsch, der in diesem Moment in Adams Haus zu Gast war, wurde zu keinem späteren Zeitpunkt der Geschichte der Menschheit jemals wieder in diesem Maße erreicht, als zu diesem prähistorischen Zeitpunkte.
Das Ganze mokierte tausende Jahre später sogar zu einer der wichtigsten Grundfesten der Glaubenswelt der gesamten zivilisierten Welt.
Zwanzigstes Kapitel

[208] Adam und Eva waren das glücklichste Menschenpärchen des ganzen Planeten Erde — was aber auch hauptsächlich daran lag, dass sie die zwei einzigsten Menschen im ganzen Paradiese waren.
[209] Sie waren un-zer-trenn-lich. Sie konnten miteinander über alles reden, sich alles sagen, keiner von beiden hatte Geheimnisse vor dem anderen, was sie auch taten, sie taten es zusammen. Sie hingen manchmal stundenlang auf irgendwelchen zwielichtigen Lichtungen herum und küssten sich einfach nur die ganze Zeit. Es erschien zudem völlig unmöglich, sich vorzustellen die beiden auch nur eine Sekunde voneinander getrennt zu sehen. Selbst beim Stuhlgang wich keiner vor der Seite des anderen, sie waren unzertrennlich wie zwei siamesische Zwillinge. Manchmal begriffen sie das gemeinsame Abkoten sogar in ihr Liebesleben mitein.
Es war wirklich zum Kotzen. Jeder andere Mensch, hätte es den denn gegeben, wäre den Brechreizattacken in Gegenwart dieser Beiden schutzlos ausgeliefert. Aber zum Glück gab es ja nur Adam und Eva.
[210] Das Ganze nahm solche Ausmaße an, dass Gotthold schon erwog die Beiden vorzeitig von ihrem Leid zu erlösen. Die Prozesse der Veränderung schienen einfach total auszubleiben, sein Projekt stagnierte sozusagen seit geraumer Zeit und er ging auch nicht mehr davon aus, dass sich daran etwas ändern könnte.
[211] Sein Lebenswerk schien erneut futsch. Mit den halbgaren Erkenntnissen, die er bisher gewonnen hatte, würde man ihn daheim auf Kolob keines müden Lächelns würdigen.
[212] Je länger Gotthold den beiden zuschaute, desto mehr sah er sein Projekt den Bach hinunter gehen. Er konnte es schließlich kaum noch ertragen, die Beiden zusammen zu sehen. Teils, weil er eifersüchtig auf Eva war, der Adams ganze lieb galt, teils weil ihm seine eigene Unfähigkeit wieder einmal mitten ins Gesicht lächelte. Er hatte sich wieder verrechnet. Sein perfider Plan, einen feuerspuckenden, verbuggten Auswurf der ohnehin schon bescheuertsten Prototypen von lebenden Wesen zu erschaffen, um es Adam an die Seite zu stellen, um ihn mürbe zu machen, war offensichtlich gescheitert. Er sollte doch erkennen, dass nur er allein es war, dem Adams vollständige Liebe zu gelten habe. So wie er ihm die seine zum Präsent bot.
[213] Doch es sollte für Gotthold kein Leichtes werden. Unablässig trat die geistige Apokalypse, Schritt für Schritt mit Fanfaren und Trompeten, mit Hörnern und Schellen, mit Geigen und Dudelsäcken und Kriegstrommeln so groß wie Elefanten, an den armen Gotthold heran.
[214] Er lag meist nur noch heulend irgendwo außerhalb seines Universums, betrank sich erbarmungslos und versuchte mit allen Mitteln sein analoges Lochkartensystem vom Denken abzuhalten. Vor allem auch indem er sich die einfallsreichsten Drogen auf die trivialsten und abenteuerlichsten Art und Weisen einzuflößen beliebte.
[215] Ja, zum ersten Mal in seinem kompletten da sein konnte Gotthold nachts nicht mehr ruhig schlafen, geplagt von Freitodphantasien, die mal mehr mal weniger von unfreiwilliger Komik behaftet waren, raubten ihm schier gar den Verstand. Immer zwanghafter und detailreicher musste er sich seine Selbstmordversuche ausmalen, denn es sollten einige werden, selbstverständlich um das Unermessliche Leiden noch zu potenzieren, nur um letztlich auch so gut wie es ein schwarzes Leintuch könnte, Gottholds Verzweiflung zu beschreiben. Das Finale würde, vom pompösesten, erlesensten Kitsch sein, denn je ein noch lebendes Wesen zu Gesicht bekommen hatte. Es gäbe echten Champagner und er würde sich vorher noch etwas richtig leckeres zu essen machen! Traurigste Orgelmusik würde seinen Weg über den rosengebetteten Waldboden seines Lieblingsplaneten Kolob begleiten, so wie sich Wort und Gedanke begleiten. Der schmale Pfad auf den Berge Golgatha III (25 m ü. d. N.N.) hinauf, auf dem eines der vier eindrucksvollsten Mausoleen aller 31 Dimensionen majestätisch vor Würde in der Mittagssonne nur so erstrahlte, wäre es sowohl zur Linken als auch zur Rechten des Weges mit pubertierenden Engelsgören gesäumt, die — aller größtes Mitgefühl heuchelnd — Banner mit Aufschriften wie: Ich will ein Kind von Dir, Gotthold!!, mit einem roten Bussimund daneben, schwenkten – oder es las sich darauf: Gotthold rules my entire bookshelf on philosophical basic knowledge! Manche rissen ihre Oberhemden wie in Ekstase von sich und präsentierten Gotthold ihre baren Brüste. Wieder andere übten sich dahingegen schon, völlig in Zuversicht gewogen, im Stagediving.
[217] Dann das Finale: Harte Gitarrenriffs und ‚the show must go on‘ von Queen aus mächtigen Marshall-Boxen.
Das Feuerwerk, man sieht es zwar kaum in der Mittagssonne, aber man würde sich trotzdem sehr gut an sein letztes eindrucksvolles Feuerwerk erinnern können! Dann ein Blick auf die Grabbeigaben: drei gerupfte, aber noch lebende Schwäne, die von der Nektar-Mafia dazu genötigt, sich mit ihrem Schnabel selbst die Federn hatten ausrupfen müssen — als Zeichen ihrer unsagbaren Trauer um den bevorstehenden Tod ihres Idols, erschienen im Spotlight der riesigen, rosa Flugabwehr-Scheinwerfer. Ja sie würden sogar dazu gezwungen, als lebende Grabbeigaben neben der faulenden Leiche ihres Herrn zu verhungern und zu verdursten, nachdem einer sich schon ein paar Tage zuvor von seinen beiden Brüdern ernährt hätte, trotzdem elendig zu verenden.
Dann wäre da noch der übliche Schmuck, ein bisschen Geld und ein Nagelclipser.
[218] Orchestrale Weltuntergangsmusik! Mahler vielleicht! Dann der große Moment! Er würde die Pille schlucken — er würde nicht einmal ein Glas Wasser dazu trinken, weshalb er ewig brauchen würde, das Ding runter zu bekommen. Dann: es ist vollbracht! Ha! Das Ding ist unten. Jetzt gibt es kein Zurück mehr! Le roy est mort! Er würde die vollen drei Stunden warten, bis das Gift, beim Ausmaße seines Körpers, endlich Wirkung zeigen würde.
[219] Bereits drei Minuten später: irgend ein Lied von den Spice Girls, völlig egal welches, Gotthold mit einem Tentakel weit im Rachen, vergebens versuchend sich zum Erbrechen zu bringen. Hätte er, wie es ihm einst seine Schwester nahe zu bringen versucht hatte, sich seiner Modelkarriere so ehrgeizig gewidmet, wie seinen völlig wahnwitzigen Experimenten, wäre er heute einer der glücklichsten vier Götter aller 31 Dimensionen.
Doch es war zu spät. Er hatte die vielversprechende Karriere blöder Weise abgebrochen, lange bevor der Trend mit den Magermodels wieder Profit abwarf. Er hatte also keinerlei Erfahrung damit, sich ohne eines Übermaßes an Alkohol zum Erbrechen zu bringen. Die Zahnbürste wäre aber auch trotzdem heute ungenutzt geblieben, denn drei Stunden später hätte er ja bereits tot gewesen sein müssen.
„Ja, so wird es kommen. Amen. Oh, hätte ich diesen Adam doch niemals in mein Leben gelassen! Dieser völlig gestörte, ungehobelte, trotzige, schmutzige Drecks-Adam! Und seine Hure! Schiss-Gesindel, elendes! Sie sollen zu Hölle hinauf fahren! Ha! Wenn ich erst einmal tot bin, dann müssen sie niemals sterben, das schwöre ich! Mögen sie sich bis in alle Ewigkeit daran erfreuen, sich ihre Zungen gegenseitig in den Hals zu stecken — bis dass sie daran elendig ersticken mögen!
[220] Gotthold war völlig von der Rolle. Er zitterte am ganzen Leibe.
Doch – natürlich brachte er es nie soweit den richtigen Zeitpunkt für seinen Exitus zu finden. Feige versuchte er sich vor diesem Tag zu verstecken, wie eine Zecke in einer Hautfalte am Rücken und unter dichtem Haarwuchs versteckt ist. Nur die immer dunkler werdenden Augenränder gaben noch Zeugnis davon, dass Gotthold lebte — so katatonisch wie apathisch lag er da.
Fortsetzung folgt…