Das Eerste Buch Lydia, Teil 5/5

Das Eerste Buch Lydia, Verse 269 – 374.

© MMX A.N.E.

Achtundzwanzigstes Kapitel

[269] Also kam es wie es sich Gotthold, als das Wort bei ihm war, und er das Wort selbst war, vorgestellt hatte.

[270] Eines abends, als Adam die kleine, wie ein niedliches Püppchen von Eva hergerichtete Abel zu Bett brachte, schienen die Phantasien, welche Adam in den vergangenen Tagen und Nächten geplagt hatten, nicht mehr dazu bereit sein zu wollen, ihm Genugtuung verschaffen zu können.

[271] Gotthold saß gebannt, in einiger Entfernung, durchaus aber etwas näher als sonst da, und schoss wie von Sinnen ein Photo nach dem anderen. Voll geiler Erwartung lief ihm Speichel den halb geöffneten Mund hinab.

[300] Was nun folgte muss in Ehrdarbietung aller geschundener Kinder, sei es durch Kriege, Hunger, Krankheiten oder machtbesessene Tiere – wobei hier ausdrücklich das männliche Geschlecht gemeint ist, dem Leser unbedingt verschwiegen werden, denn es würde ihn zu sehr schockieren, solche Kunde, wie ein trockener Schwamm Wasser aufzusaugen sich getrieben sieht, zu empfangen. Es produziert im menschlichen Körper oft ein Gefühl, als sähe man sich unweigerlich dazu gezwungen, die folgenden sieben Tage und sieben Nächte nicht nur beim Brechreiz und Übelkeit verweilenden Erfahrungen das Bett teilen zu müssen.

[301] Das entscheidende war, dass ich zwischen den beiden so etwas wie eine Beziehung entwickelte. Ja die kleine Abel glaubt es sogar, sie sei bis über beide Ohren verliebt in Adam und dass sie ohnehin viel besser für ihren Papa sorgen könne, als Eva ist jemals in der Lage wäre zu gewährleisten.

[302] Dieses Treiben wiederum führte dazu, dass Eva sich mehr und mehr damit konfrontiert sah, dass sich irgendetwas Ödipuskomplex-artiges um sie und Kain entwickelte. Sie begann sich zusammen mit Kain kewle Klamotten aus zu denken, ja sie verabredeten sich sogar oft mehrmals täglich in der Cafeteria da Angelo nebenan, um literweise Latte Macchiato zu trinken, bis die beiden immer öfter zur Toilette müssten – und ihr Verhältnis wurde sogar noch stetig besser.

[303] Kain war Eva regelrecht hörig geworden und tat was immer Eve ihm Gebot. Es war ihm dabei aber durchaus klar, dass er damit seine Position, seinen sozialen Status in der Rangliste erheblich verbessern konnte, ja die Hegemonie, das Ölmonopol schienen sogar bisweilen greifbar und ihm wie eine über reife Pflaume entgegen zu winken.

Neunundzwanzigstes Kapitel

[304] Als Eve eines Abends beschloss früher ins Bett zu gehen, da die Daily Soap die sie sonst immer um diese Uhrzeit sah – den interessierten Leser mag es nicht verwundern, dass der Serientitel ‚Sodom und Gomorrha‘ nicht nur eine hohle Phrase war – unvorhersehbar und aus für sie und ersichtlichen Gründen ausfiel.

[305] Da erblickte sie durch den Türspalt von Abels Teeniezimmer, welches über und über mit Hanson-Postern, einem von Hand aufgemalten „The Kelly Family“-Schriftzug – der in bemerkenswert psychedelischen Farben ausgemalt war – und „Caught in the Act“-Stickern auf der rosa Kommode dekoriert war, das offenbar nicht zum erste Mal stattfindende gute Nacht-Ritual zwischen Adam und Abel.

[306] schockiert ging sie einfach weiter, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden einzugreifen – die kleine Hure hatte es ja auch schließlich nicht anders verdient – und tat so, als ob sie es nie gesehen hätte. Was war ihr Mann doch für ein grausames Tier!

[307] Stattdessen, wohl in Erheischung aller Lüste höchster Pietätlosigkeit, fiel ihr nichts besseres ein, als die Geschichte brühwarm ihrem halbstarken, pickelgesichtigen, langhaarigen Heavy Metal hörendem Sohn zu verzapfen. Nicht nur dass die, jedem Hodensack schmeichelnden, viel zu engen Jeans einfach nicht zu den quietschebunten, völlig überdimensionierten Turnschuhen passen wollten – sondern auch dass ein nackter Oberkörper nur dann ansehnlich ist, wenn man auch die Figur dazu hat, erschien in diesem Moment wesentlich klarer nachvollziehbar – aber auch wesentlich angenehmer, als der Anblick des staatlichen Geweihs von VoKuHiLa, als das wirre Gefasel von Ehrenmord, das Kain zwischen zwischen dem Schaum vor dem Mund, von sich gab.

[308] mit einem Blick wie Adolf Hitler bei der Verkündung einer völlig unbedeutend Rede, die man sich sowohl hätte sparen können, als auch überhaupt im Vorhinein schon hätte wissen müssen, dass es Menschen gibt denen man nicht noch, vor einem rasenden Pöbel stehend, ein Mikrophon in die Pratzen drücke – gestikulierte er wild wie Louis de Funès in der Luft herum.

Dreißigstes Kapitel

[309] Eve packte die Gelegenheit sofort beim Schopfe, gleichwohl dem uralten Sprichwort – carpe diem – denn schließlich kann man sich nie sicher sein, ob sich eine gute Gelegenheit noch mal so einfach ergibt. Sie heuchelte ihm Verletzungen vor, wie sie noch kein Krieg gesehen hatte, sie flehte und bettelte nach seinem Schutz und seiner starken Hand.

[310] Mit geschwollener Brust, eingezogenem Bauch, breiten Schultern und Treue-bis-in-den-Tod-Geschwafel auf den Lippen, gelobte Kain seinen verhängnisvollsten Eid: alles zu tun, was auch immer es koste oder fordere, was seine geschundene Herrin ihm gebot zu tun.

[311] „Die kleine Fotze muss sterben! Adam gehört mir! Alas, ich weiß er findet mich nicht mehr begehrenswert! Doch was mischt sich die kleine Hure da ein? Sie hat kein Recht dazu! Adam ist mein! Mein ganz allein! Sie verspottet mich mit ihrer Jugend!“, besonders die letzten Worte schrie Eva wieder und wieder, bis dass ihre Stimme ihren Dienst versagte.

[312] Es war am nächsten Tage, so gegen halb elf muss es gewesen sein, als Kain Abel im Wald auflauerte, als diese gerade damit beschäftigt war, die Pilze für das Mittagessen zu sammeln.

[313] „Na, Schwesterherz!“, rief er bösartig.

[314] „Was ist denn los?“, fragte Abel ziemlich nichtsahnend, denn Kain hatte, vermutlich seit er Heavy Metal hörte, immer so einen Unterton drauf, der seinerzeit in dieser Unterkategorie der Rockmusik aber auch als völlig gewöhnlich galt.

[315] „Papa hat mir neulich erzählt, du wärst ein Naturtalent im Blasen!“, hätte er schreien können, wenn es der Wahrheit entsprochen hätte.

Stattdessen sagte er: „Weißt du eigentlich, was du Mama antust?“

[316] Da sie wusste, dass ihr Bruder ein totaler Dummkopf war und außerdem zu pathologisch unüberlegten Kurzschlusshandlungen nur so neigte, entschied sie sich spontan dazu zu schweigen, in der Hoffnung er würde sowieso gleich wieder abziehen.

[317] Aber der hormongesteuerte Freak schien sich heute noch keine Leibesertüchtigungen gegönnt zu haben, weshalb sein Aggressionsniveau, wahrscheinlich testosteronbedingt, für alle gut sichtbar ins Unermessliche Anstieg.

[318] „Antworte mir!“, bat er so höflich, wie er es nur konnte.

[319] Doch sie blieb hart, mit stoischer Ruhe begann sie damit, sowohl all die guten psychoaktiven Gottesgeschenke, als auch alle mehr oder minder essbaren Pilze zu sammeln.

[320] Kain wurde fuchsteufelswild. Er begann leise zu weinen.

[321] Doch Abel ließ sich davon nicht erweichen. Sie war ihm keine Rechenschaft schuldig. Sie war, als sie kleiner gewesen war, oft genug auf Kains Dackelblick hereingefallen, und sie würde diese schlimmen Erfahrungen nicht wiederholen wollen.

[322] Als Kain merkte, dass er damit nicht weiterkommen würde, hörte er sofort damit auf. Es war ihm klar, dass er sein Verhalten in der für ihn im Moment noch sehr ungünstig stehenden Schachpartie, in angemessenem Rahmen würde anpassen müssen.

[323] Er griff sich den größten und dicksten Ast, den er liegen sah und schlug damit auf die gut vorbereitete Abel ein. Sie schlug ihm den Korb um die Ohren und hatte plötzlich ein Küchenmesser, vermutlich hatte sie es zum Pilzeschneiden dabei, in der Hand.

[324] Es gab ein ernsthaftes Gerangel, es sah kurzfristig so aus, als wären Kain und Abel ein verliebtes nymphomanes Pärchen, dann sackte Abel jedoch plötzlich Blut überströmt weg.

[325] Er stand noch einen Moment da, betrachtete ihren Leichnam, machte sich noch über die her,  wischte sich das Blut ab, wischte die Fingerabdrücke vom Messer ab und legt es ihr in die Hand, so dass es aussah als habe sie Selbstmord begangen. 

[326] Anschließend nahm er den Korb, sammelte die wild verstreut Pilze ein und ging nach Hause. Zu seiner, ihn erwartungsvoll anblickenden Mutter sagte er in der Küche nur stoisch – in einem Tonfall, wie in Abel seinerzeit immer drauf gehabt hatte und scheinbar nicht an Evas Kochkünste glaubend: „Es gibt also Pilzpfanne heute Mittag…“

Einunddreißigstes Kapitel

[327] Adam war aschfahl geworden, als er beim Mittagessen erfuhr, was Eve alles wusste — über ihn und Abel und wozu er seine eigene Frau getrieben hatte.

[328] Er brach bitterlich in Tränen aus.

[329] „Warum Gott! Warum Gott strafst du mich nur so?“, schrie er pathetisch indem er die Arme nach oben ausgestreckt haltend, so als suche er verzweifelt nach der Sonne, und kniend, als wolle der Himmel über ihm zusammenbrechen, und schließlich in sich sackte.

[330] Gotthold, der auf diesen Moment schon eine ganze Weile lang gewartet hatte, sah die Champagnerkorken aus den bauchigen Flaschen knallen, wobei Unmengen des prickelnden Getränks auf den Boden spritzen. Sofort danach sprang er auf, hastete hoch in sein Zimmer – zu seinem Mobiltelephon und wählte mit zittrigen Fingern den Notruf. Mit Schrecken verzerrter Stimme flüsterte er ins Mikrophon: „Bitte kommen Sie schnell, hier wird gleich ein Mord passieren…“

Wieder sprang er auf und stolperte zu seinem Schrank. Er riss die unterste Schublade auf und schmiss seine eben noch zwanghaft akkurat zusammengelegte Unterwäsche hinter sich, wie ein Trüffelschwein die Erde beim Erfolgserlebnis. Er zog einen kurzen Metallstab hervor, vielleicht einen Totschläger und grinste mit einem ernsthaft markerschütternden Gesichtsausdruck. Seine Augen allein vermochten den Größenwahn darzustellen nicht mehr zu bewältigen…

[331] „An allem Schuld ist nur der Vaginalverkehr!“ schrie Adam schrill und völlig entgeistert unten im Wohnzimmer, „…diese Fortpflanzung! Eines Tages werden wir noch wie ein Virus und Bakterium im Einklang, den ganzen Planeten mit unserem Eiter und Auswurf verpesten! Oh ich armseliges Lebewesen! Wie konnte ich es jemals verantworten Kinder in diese schreckliche Welt zu setzen!“

[332] Applaudierend und mit seligem Gesichtsausdruck trat langsam Gotthold an Adam heran. Kain und Eve saßen noch völlig apathisch am Esstisch, als lähme sie der Anblick Adams wie der Blick der Medusa.

[333] Absolut selbstzufrieden war er, Gott. Er war größtenteils so außer sich, er konnte sich selbst in diesem Moment völlig aus der Perspektive der dritten Person sehen und genoss es unwahrscheinlich.

[334] „Warum auch nicht?“, dachte er sich. Sein Projekt war beendet. Er hatte jetzt alles was er wollte und konnte sich nun endlich wieder nach Kolob aufmachen. Gotthold wusste, man würde ihn feiern wie ein Helden! Er wäre bald rein gewaschen von aller Sünde. Er würde in jedem noch so lumpigen Boulevardblättchen diskutiert, bewertet und vergöttert. Sehr viele Menschen würden sehr viel Geld mit ihm als Sujet verdienen können. Er würde indirekt viele Familien damit ernähren. Er würde so gleich unsterblich werden.

Ja es erschien ihm sogar nicht unwahrscheinlich, dass es eine Menge begeisterter Trittbrettfahrer geben würde. Wer weiß? – Es war IHM sogar ein EIGENER Tempel denkbar. Was wenn irgendwann einmal Muezzine seine Nachricht von goldenen Minaretten riefen, sodass niemand mehr seiner Botschaft entfliehen könnte! Was wenn irgendwann Schulkinder IHRE WERTVOLLSTE LEBENSZEIT damit verschwenden müssten, dem zuhören zu müssen, was korrupte Lehrkörper ihnen aus seiner Bibel vorlesen würden! Er wagte es nicht mehr, weiter darüber nachzudenken – Gedanken von größerer Herrlichkeit, als dass sie in einen Menschenkopf allein passen würden, drohten seinen Verstand implodieren zu lassen.

[335a)] Der Tod also. Er hatte es immer gewusst. Der Tod ist das wichtigste im Leben. Richtig in Szene gesetzt, vermag er einzig und allein Unsterblichkeit, gleich einem der wertvollsten Orden, den man sich nicht leichtfertig verdient, zu verleihen. Der Tod ist der höchste Richter, ob dessen Wort, ob dessen Urteil – wie dem von Louis Quatorze oder Justitia sogar, kein Widerwort Duldung erhaschen kann.

Wie die Jahreszeiten gibt unten nimmt er wie er es gedenkt – einem ehrwürdigen Grafen gleich, der nur seine Marke treu verwaltet. Endlich hatte er handfeste Beweise dafür. Das ganze Leben ist doch im Grunde nichts anderes als eine exorbitante Beerdigungszeremonie, ein einziges panégyrique auf den Tod! Der Tod in Persona, die Schiere Inexistenz, mit all ihrer Energie, war Gottholds Lehrmeister gewesen – die ganze Zeit über, und er hat es nicht begriffen. Der Tod, ein erbarmungsloser Säufer – endlos, unablässig trinkt er Zeit, Leben, Raum. Im Grunde war sein ganzes Leben ein einziger Wink mit dem Zaunpfahl gewesen, doch er hatte die Augen halb zu gehabt – er fühlte sich gleich eines Leprakranken, dem die Haut wie Schuppen von den Augen fällt als er sah:

Nur die, deren Trauerfeier am ergreifensten ist, jene nur, an die man sich auch nach ihrem Tode – ja nach des Todes Urteil – noch gerne erinnert, einzig und allein diese sind Lebewesen, die auch wirklich gelebt haben. Jene, deren Namen noch in fesselnden Legenden, lange nachdem ihre Asche vom Wind hinfort getragen worden ist, in Liedern, in Märchen, in Epen und Chorälen regelmäßig in aller Munde sind, sind wahrhaft unsterblich.

Jene nur, deren Namen im Kopfe der Lebenden Bilder entstehen lassen, ja nur diese sind auch wirklich gottnah! Denn eines war ihm gewiss: Leben wird es immer geben. Selbst unter den widrigsten Umständen wird ein Lebewesen existieren, das noch dazu in der Lage ist, Geschichten zu erzählen. Und wenn die Geschichte deinen Namen trägt – dann bist du Gott.

[335b)] Denn auch der große Bauer, der große Schnitter, muss mit seinem Korn über den Winter kommen, weshalb er immer einen vollen Getreidesack für die Aussaat im nächsten Jahr zurückbehält. Stets benötigt Gevatter Tod ein paar Sandkörnchen, um seine Sanduhr am Laufen zu halten, welche aussieht als ob sich ein riesiger Stalaktit und ein ebenso großer Stalagmit in der Mitte endlos, ohne Unterlass zu vereinen versuchten – es Ihnen Sisyphos gleich aber niemals gelingt.

[335c)] Gotthold fühlte mehr und mehr: der Tod, das Nichts, das schwarze Loch, ist der immerwährende Krieg, den der Mensch Leben, ja sogar Gott nennt. Und doch ist der Mensch das einzige Lebewesen, das einzige Tier, das den Tod und seine Geschenke aufs heuchlerischste verleugnet, ihm sogar ein völlig anderes Aussehen gibt. Es gilt als gar nicht schick, mit dem Tode zu spaßen, ja ihn gar zu seinem Freund zu machen. Denn der eigentliche Gott – also ihr lebendiger, heuchlerischer Philanthrop und Humanist, der zwar eigentlich der Tod höchstpersönlich ist, was aber wie gesagt tunlichst verschwiegen wird, sei grundsätzlich gut, lebensfreundlich eingestellt, positiv und erklärte Erzfeind des Todes, ja er habe den Tod sogar selbst überwunden.

Er mordet zwar wie der Teufel, tut es aber nicht gern, weil es eine so schwer zu verstehende Sache für den Menschen sei. Nur ganz selten, eigentlich fast nie, es fällt sogar unter dem Mikroskop nicht auf, tötet Gott ein Lebewesen und ruft es zu sich, es tut ihm aber auch überhaupt nicht leid, denn bei ihm sei es ja ohnehin viel schöner, also im Tode. Mit anderen Worten ein in sich völlig paradoxes Wesen. Keinem Menschen ist es jemals möglich gewesen, davon berichtet ja schließlich die gesamte Bibel, sowie die komplette Geschichte der Menschheit, Gott jemals komplett zu verstehen oder sich auch nur teilweise auf ihn einstellen zu können. So war es ihm ja bis jetzt auch immer selbst ergangen, ja es war ja überhaupt der GRUND für all seine Projekte, Studien und Experimente. Es habe auch noch nie jemals irgendwer ein Photo dieses Lebemanns gesehen. Das klassische Ebenbild Gottes, ein absolut herrliches Meisterwerk von einem Gemälde. Wären da nicht die Leichenberge von Auschwitz oben rechts, die vielen angetrockneten Blutflecken am antiken Goldrahmen, die Sklaverei, die Inquisition, der 11. September 2001, die gerahmt in Tsunamis und Hurricanes, sich wild über die Leinwand erstrecken. Was auch immer Gott tut, es erscheint den Menschen stets unlogisch vorzukommen. Und solcherlei Art ist auch das Geschenk des Todes – nichts als: der Zweifel!

Jedes einzelne Lebewesen – und damit meinte er jedes Lebewesen, ob Tier, ob Pflanze, Organismus – muss für sich selbst entscheiden, WIE  es dem Tode dienen will, nicht OB es ihm dienen will. Und doch leben sie alle niemals, immer bereits tot ist das Hier und Jetzt.

Der Tod selbst sagt uns nicht, ob oder wir uns entlohnt, er sagt uns nicht tue dies, lass‘ das – er macht uns nur ein Angebot: willst du leben, so opfere mir – was es auch sei! Denn alles Leben und alle Existenz vermag nur der Tod allein zu geben. Alles Leben ist nur Erinnerung, nur geliehen [Das heißt aber nicht, dass das Leben keine Regeln des gegenseitigen Umgangs von Lebewesen untereinander vorgäbe! Es heißt auch ausdrücklich nicht, dass diese Regeln nicht sinnvoll sein können — Anm. d. Verf.].

Immer bereits vom Tode gerichtet ist das Gestern: für immer tot – und nur in der Erinnerung – doch so lebendig…

[335d)] Und auch er würde bald vom Tode bemessen werden: mit allem was er getan hatte und mit allem was er nicht getan hatte. Solcherlei war die Unsterblichkeit die Gotthold sich selbst auserkoren hatte. Er sah: Sein Leben war, bevor es noch war – und es wird noch sein, bevor es nicht mehr ist und dann: im Tode allein.

[336] Nur ein letzter kleiner Blutstropfen fehlte ihm zum Tranke der Unsterblichkeit.

[337] Er war urplötzlich so kurz vor der Entdeckung des Steins der Weisen, dass er überglücklich verkündete:

[353] „Und Adam, was Du noch wissen solltest: ich mach‘s kurz! Ich allein war es, der Dich in all diese Situationen gebracht hat. Ich ganz allein. Du bist unschuldig, Adam. Ich habe jetzt Klarheit, mein Projekt ist beendet!“

[354] „Du sollst von mir jetzt das Geschenk des Todes, der Sterblichkeit erhalten! Du jast es Dir endlich verdient. Ich bis so stolz auf Dich, Adam!“

[355] „Doch eins noch wäre wichtig, halte Dir stets vor Augen — was auch immer passieren mag:“

[356] Ewiger Zweifel!

[356] Strebe!, stets nach dem Größten und Besten —

Das Geringste sei nichts, das Dir gebühre!…

[358] Und doch lerne es mit allen Sinnen zu genießen —

Es sei das Brot auf Deinem Wege zu ewigem Ruhm!

[359] Nähre, labe Dich an Deiner Träume Blut allein —

Es sei der Wein auf Deinem Triumphzug!

[360] Was immer Du auch zu tun nur gedenken wirst:

[361] Ewige Weisheit, Adam! Ewiger Zweifel!

[362] Er hatte noch kurz eine uralte Schuhwerbung im Kopf, in der es seinerzeit ‚just do it‘ hieß und er dachte noch einen Moment lang darüber nach, ob er  Adam damit besser verdeutlichen könne, was er ihm verklickern wollte. Dann fiel ihm eine Schokoriegelwerbung ein, in welcher der Name des Produkts mit einem bunten, appetitanregenden Logo auf der Mattscheibe erschien und ein junger Mann, der kurz zuvor noch ins Kloster gehen wollte, machte auf dem Absatz kehrt und man hörte nur gebannt der sympathischen Stimme zu als sie sagte: ‚… und es geht weiter!‘

Er hatte augenblicklich Cigaretten-Werbung vor Augen, die beinahe wie Kleidung es vermochte, den Kern des Problems vor dem Konsumenten zu verheimlichen. Er war sich kurz nicht sicher, ob er ihn noch um eine dieser Werbeweisheiten bereichern sollte, dann verließ er sich einfach auf sein uneingeschränkt gutes Gefühl zu wissen, dass Adam auch ein gescheites Kerlchen war.

[363] Und damit umarmte er ihn mit der Rechten, dann gab er Adam einen Kuss auf die Wangen, wie es in südlichen Ländern so der Brauch ist — hinter seinem Rücken konnte man, wenn man hinter ihm stand, sehen wie er mit der linken die mano cornuta formte, auf dass ihm und Adam das Heil des Todes wohl gesonnen und gewiss sei.

[364] Adam konnte sein Glück kaum begreifen! Er war endlich frei, ein Sterblicher! Doch gleichzeitig verspürte er unsagbare Trauer, als stünde ein großes Unglück bevor. Er hatte ein äußerst übles Gefühl im Bauch, was generell ein schlechtes Omen war.

[365] Wenn man den Kopf hob, konnte man traubenweise Engelsgören an den Wolken hängen sehen, die neidisch auf Adam herab blicken und ihn dafür verfluchten, dass er des Gottholds liebstes Spielzeug war. Gewichen war fort an jede Freude in ihren Gesichtern und sie schworen noch etliche Stunden später, dass alles was Mensch sei für immer ihr erklärter Erbfeind wäre, ja dass sie allen Lügengeschichten über die Menschen – dabei selbst als Mensch verkleidet – erzählen würden, nur um ihr verderben so grausam wie möglich zu gestalten. Sie verfluchten alles und jeden, ja sogar Gotthold selbst, bis auf die Kindeskinder seiner Kindeskinder, deren Kindeskinder und die Kindeskinder noch vieler weiterer Generationen. Gelb vor Neid skandierten sie „Stirb Du Sau!“, „Nieder mit dem Tyrannen!“, „Pardon? Kann von euch mal wer den Müll rausbringen, bitte?“ und noch viel Schrecklicheres.

Die Welt, das Universum waren jetzt nicht mehr Adams Freunde: und doch! ER würde allen Widrigkeiten trotzen! Wie ein Fels stünde er in der nächtlichen Brandung, der vielen tausend Lebewesen Schutz vor den kalten Wogen gäbe!

[366] Gott, sein Vater aber lächelte Adam noch einmal gnädig an. Dann schoss er sich mit der blanken, abgesägten Schrotflinte aus alten Tagen das halbe Gesicht weg, wonach einige Hirn- und Schädelteile weiter von ihm entfernt lagen, als andere…

Nachwort — Nur ein Weg führt zum Glück…

[367] Es war 18:02 Uhr am Sonntag, den 13. November 2253. Das Wetter war gerade noch ertragbar, gleich einem kalten, dunklen Sommerabend, der den Herbst anpreist. Lydia hatte  schon eine Weile Feierabend gehabt – sie war nachdem sie gekündigt hatte, endlich wieder von Gefühlen beseelt, die ihr Hoffnung gaben – da ging es wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Der abendliche Marsbote baut mit großen Lettern: ‚Skandal! Das wahnwitzige Paradies des Georg aus Couwlòv!‘

[368] Laut dem was neben der Quarkwerbung stand, den es jetzt endlich wieder, allerdings nach einer noch großütterlicheren und zugleich noch trendigeren Rezeptur, nämlich mit flüssiger Butter und Röstzwiebeln gab, muss ich auf eine der Inseln der Karibikkoalition Schreckliches zugetragen haben:

[369] Offenbar hatte ein völlig verwirrter 66-jähriger calvinistischer Priester, der die Insel seinerzeit im Lotto – einem mittlerweile verbotenen Spiel mit der Sucht, gewonnen hatte und sich ab dann für von Gott begünstigt hielt, seine eigenen Kinder und Kindeskinder aufs grausamste misshandelt. Sie entstammten einem lesbischen Ehepaar, dass er nach einem für ihn nicht befriedigend verlaufenen Eheberatungsgespräch entführt hatte, in einem Verlies auf der Insel festgehalten hatte und das er über Jahrzehnte vergewaltigte und quälte. Dabei wurde offensichtlich zuerst ein Zwillingspaar männlichen Geschlechts geboren, dass Georg dann aber einige Zeit später von seiner Mutter trennte. Was aus den Frauen geworden sei, wisse man immer noch nicht, so die Polizeisprecherin Lydia Cortez.

Er habe die Jungen, denen er biblische Namen gegeben habe, zuerst getrennt voneinander großgezogen, wobei er einen von beiden mehr der Deprivation überließ, als den anderen. Sie mussten fast ihre komplette Kindheit in einer abgedunkelten Gummizelle mit Fütterautomatik verbracht haben, was ein traumatisches Erlebnis für beide gewesen sein muss. Als einer von ihnen starb, habe wieder angefangen Frauen zu vergewaltigen. Der verbliebene Junge sei dann, nach Behördenangaben, Jahre lang mit nichts mehr als einer alten Bibelausgabe allein zurück geblieben. Aus medizinischer und entwicklungspsychologischer Sicht sei es laut Doktor Ernesto della Cruz absolut unerklärlich, wie der Junge so lange überleben konnte.

[370] Inzwischen habe der schwer sozial und emotional gestörte Mann ein anderes Kind afro-amerikanischer Herkunft entführt, ein junges Mädchen, dass er sodann, wieder über Jahre, mit Methoden misshandelte die sonst nur von Geheimdienstangestellten verwandt würden, woraufhin sie einige Zeit mutistisch geworden sei.

Anschließend habe er die beiden gemeinsam auf seiner Insel zurückgelassen, und hielt sich eine Zeit lang auf der Erde in seiner Wohnung in Paris auf, anscheinend erhoffte er sich davon, die Behörden zu verwirren.

[371] Als er zurück auf die Insel gekommen sei, habe er begonnen die Schwangerschaft dokumentieren zu helfen und assistierte auch bei der Geburt, betonte Georg ausdrücklich in seinem über 18 Ringordner langen, 52 VHS-Videos, tausende Dias umfassenden und fein säuberlich auf DVD gebrannten, jeden Stasi-Beamten beunruhigenden Nachlass, von dem mittlerweile aber bereits mindestens die Hälfte von ihm selbst dem Feuer übergeben worden  oder geschwärzt worden sein dürfte. Es habe sich bei den Enkelkindern dann wieder um ein Zwillingspärchen gehandelt, diesmal aber zweieiige unterschiedlichen Geschlechts.

[372] Es muss im folgenden zu inzestuösen Verhältnissen in dem Dreigenerationenhaus gekommen sein, in dessen Rahmen es dann zum Tode des Mädchens – Ábel, wie es sich anhand einiger und verbrannter Notizen habe rekonstruieren lassen – gekommen sei. Zum jetzigen Zeitpunkt der Ermittlungen gingen die Gerichtsmediziner aber noch davon aus, dass es sich dabei um einen Unfall gehandelt haben müsse.

[373] Kurz darauf wird sich Georg K. dann das Leben genommen haben. Damit wird voraussichtlich erst einmal im Unklaren bleiben, ob es zum jetzigen Zeitpunkt nicht noch weitere Opfer geben könnte. Wann das alles genau geschah – oder was genau geschehen ist, ließe sich noch nicht annähernd im Ausmaße erfassen, denn sowohl die beiden Erwachsenen als auch ihr Sohn stünden nach wie vor unter Schock. Sie müssen wohl allem Anschein nach über Jahre hin weg mit Drogen, Medikamenten und Essensentzug gefügig gemacht worden sein. Experten gehen davon aus, dass sich alle drei niemals von diesem Schrecken erholen werden können und ein Leben lang damit zu kämpfen haben werden. Die psychologischen Folgen für die drei seien noch nicht abzusehen. Vermutlich wird es zu lebenslangen Aufenthalten in der Psychiatrie führen, denn alle drei gelten als akut selbstmordgefährdet, weiterhin sei es ziemlich sicher, dass auch sie wie ihr Vater, Großvater, beziehungsweise Peiniger an Schizophrenie erkrankt sein.

Die Präsidentin forderte in ihrer Abendansprache restlose Aufklärung und sicherte den Opfern und deren Angehörigen sofortige Hilfe zu.

„So etwas dürfe in Zukunft einfach nicht mehr passieren — man habe bereits eine Expertenkommission einberufen.“, machte sie in ihrem Schlusswort klar.

All das, lässt sich trefflich beschreiben. Warum Georg K. aber diese Folterexperimente an seiner eigenen Familie durchgeführt hat, bleibt unbegreiflich. Man muss sich aber fragen, was es für Menschen gibt, welche die selbe Luft atmen wir hier, aber doch zu solch unbeschreiblichen Taten fähig sind. In solchen Zeiten kann man sich nur immer wieder schmerzhaft bewusst werden: die Wege des Herrn sind unergründlich…

[374] Lydia nippte an ihrem Tee und legte die Zeitung auf die Seite. *lol*, sogar *roflmao*, dachte sie bei den letzten Worten des Artikels. Lydia fühlte sich seltsamerweise befreit, wusste sie doch nicht, was ihr die Zukunft bringen würde. Aber sie war guter Dinge, dass was immer auch kommen möge, nur besser als ihr bisheriges Leben werden könne. Sie würde von jetzt ab jeden Tag, jede Sekunde leben, als wäre es ihre letzte…

-fin-

Veröffentlicht von Agimar N. Edelgranberget

I am insane.

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