Das Ende der Vorstellung

© MMXVIII A.N.Edelgranberget

Im Film Tampopo, einem Meisterwerk von Juzo Itami, stirbt am Ende ein Jakuza, sich den blutüberströmten Leib zusammenhaltend, gekleidet in einen weißen Anzug. Natürlich, Kenner des Genres wissen weshalb. Es regnet in Strömen. Seine Freundin oder Frau vielleicht, beweint pathetisch seinen sich ankündigenden Abgang. Natürlich, es muss dramatisch sein.

Doch nun passiert etwas Ungewöhnliches — jedoch nur sofern man die Szene aus dem Zusammenhang reißt, denn in Wirklichkeit geht es in Film ja um nichts anderes — es fängt der Yakuza unter Qualen an von mit esskastaniengefüllten Wildschweinmägen und ihrem wunderbaren Geschmack zu berichten. Dann stirbt er. Man bleibt, sowohl als bessere Hälfte als auch als Betrachter, mit dem leckeren Appetizer von Wild am Gaumen und der bitteren Pille des Todes auf der Zunge zurück. Ich könnte noch zahlreiche andere Highlights des Films beleuchten, wie: „esst!“ — doch es geht ja um etwas ganz anderes, etwas Schönes, denn dies gehört einmal gemehrt: Das Ende und seine Ästhetik des Sonnenuntergangs.

Oft ist es doch nämlich so, dass der heutige Mensch das Ende gar nicht mehr wertzuschätzen weiß. Ein gutes Ende, ein Abschluss, der einen auch manchmal nachdenklich zurücklässt. Dabei können die letzten Stunden die Besten sein, und sie sind es ja auch gleichsam, für den Augenblick, denn es sind schlussendlich die Einzigen, die noch verbleiben.

Denn wenn man erst einmal begriffen hat, dass Zeit unwiederbringlich vergeht, ist man eigentlich nie wieder man selbst: Man ist zur bewegten Reflexion des Augenblicks geworden. Um die metaphysische Frage nach dem: „Wer bin ich?“ ein für alle mal zu beenden: Man „ist“ nicht.

Man war nicht, war, ist, wird und wird nicht mehr sein. Ein klassizistischer Fünf-Akter.

Stellen Sie sich ihr Leben ruhig als Diashow vor, falls Sie noch wissen, was ein Diaprojektor ist. Mehr ist das nicht, nur bewegte Bildchen. Es fängt an indem man die Vorhänge zuzieht, damit es dunkel wird, denn im Dunkeln ist gut Munkeln, das Licht und die neugierigen Blicke bleiben, müssen draußen bleiben.

So eng drücken sich die Leiber im Frühling bei der Diavorstellung, alles schwitzt. Es ist stickig. Es ist dunkel. Man ist in dieser Erwartungshaltung. Wie war das? Worum geht es? Was wird passieren? Wer wird kassieren?

Und dann: Ratschick! Das erste Bild. Noch schwarz-weiß? Wird der Mann oder die Frau am Projektor was dazu sagen? Ratschick! Nächstes Bild, Ratschick! Rataratschick! Verblassende Bilder in aschfahlen Farben und kein Kommentar, immer noch nicht, aber, ratschick und ratschick. Ratschick, ratarataratschick!

Ein Feuerwerk an Farben und Details wird die Diashow, die Bilder gleichen mehr und mehr dem Gestern. Herrje.

Unwiederbringlich wechseln die kleinen, grauen, halbtransparenten Plastikbilderrahmen die Plätze und doch wirkt alles wie in einem mittelalterlichen Kettentanz oder einem Veitstanz oder auch dem Mittsommerreigen. Hypnotisierend, also des schieren Vorgangs wegen.

Und dann merkt man, dass einen die Diashow auch nicht mehr beruhigt. Irgendwie war das zwecklos, musste es leer bleiben, fad. Schnöde. Man sitzt noch einen Augenblick im Dunkeln.

Der Moment vor dem Aufbruch. Dann zieht jemand die Vorhänge auf und da ist das Licht und man steht auf, greift seine Jacke und geht. Die letzte Diashow hatte man besser in Erinnerung. Diesmal wird es die Letzte gewesen sein, ganz bestimmt. Herrgott, ich habe nicht einmal applaudiert, denkt man heimlich beim herausgehen …

Adieu!

🖕🏿

Veröffentlicht von Agimar N. Edelgranberget

I am insane.

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